Anwalt und Kommunalrecht

von Rechtsanwalt Sönke Nippel in Remscheid

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Befangenheit eines Gemeindevertreters bei der Beschlussfassung über eine Abgabensatzung?

12. September 2011, aktualisiert am 7. Juni 2022

Mich erreichte folgende Anfrage zum Thema „Befangenheit bei der Beschlussfassung über den Erlass einer Abgabensatzung“:

Sehr geehrter Herr RA Nippel,

ich bin Mitglied einer Stadtverordnetenversammlung im Land Brandenburg.

Im Rahmen der Haushaltsdebatte geht es u. a. um die mögliche Erhöhung des Hebesatzes für die Gewerbesteuer.
Einige Mitglieder unserer Stadtverordnetenversammlung sind Unternehmer oder Angestellte von Unternehmen, die bei einer Erhöhung des Hebesatzes unmittelbar oder mittelbar betroffen wären, in diesem Fall zu ihrem Nachteil. Diese Abgeordneten lehnen eine Erhöhung des Hebesatzes logischerweise ab.

Daher meine Frage: Müssen sich diese Abgeordneten für befangen erklären?
Wenn ja, könnten mir Abgeordnete entgegenhalten, dass bei Beschlüssen zu Grundsteuer B dann alle Abgeordneten, bei Grundsteuer A einige Abgeordnete befangen sein müssten.
Bei Beschlüssen zur Hundesteuer wären dann die Hundehalter befangen. … Aber das geht dann wohl zu weit, oder?
Über eine Antwort von Ihnen freue ich mich.
Bei Veröffentlichung des Sachverhaltes bitte ich Sie, meinen Namen nicht auszuschreiben. … verwenden.
Besten Dank im Voraus.
Mit freundlichen Grüßen

Antwort:

Es liegt keine Befangenheit vor. Ein Ausschlusschließungsgrund ist nicht gegeben. Der Gemeindevertreter hat nämlich keinen „unmittelbaren“ Vor- oder Nachteil von dem Beschluss. Sowohl die GO NW als auch die KVerf BB fordern aber für das Vorliegen der Befangenheit bzw. für das Vorliegen eines Ausschlussgrundes einen „unmittelbaren“ Vorteil oder Nachteil des Gemeindevertreters:

Gemäß einer Entscheidung des VGH Kassel vom 10. März 1981 (2 OE 12/80 – mit Hinweisen auf VGH Mannheim) liegt aber kein „unmittelbarer“, sondern lediglich ein „mittelbarer“ Vorteil oder Nachteil vor:

Leitsatz
…
3. a) Wenn ein Gemeindevertreter an der Beratung und Beschlussfassung einer gemeindlichen Beitragssatzung mitwirkt, bringt ihm diese Tätigkeit keinen unmittelbaren, sondern nur einen mittelbaren Vorteil oder Nachteil. Die Erhebung des Beitrages bedarf noch der Umsetzung mittels eines Heranziehungsbescheides (§ 25 Abs. 1 HessGO).

Gründe

… Niemand darf in ehrenamtlicher Tätigkeit in einer Angelegenheit beratend oder entscheidend mitwirken, wenn er durch die Entscheidung in der Angelegenheit einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen kann (§ 25 Abs. 1 HessGO). Bei der Beratung und Entscheidungsfindung sowohl im Ausschuss als auch im Plenum der Bekl. über die Entwürfe zur Neufassung der vom VG Frankfurt durch Urteil vom 16. 11. 1978 für unwirksam erklärten Kanalanschlussbeitragssatzung und Wasserbeitragssatzung einschließlich der jeweiligen Gebührensatzung würde der Kl. in seiner Eigenschaft als ehrenamtlich tätiger Gemeindevertreter nicht in einer Angelegenheit beratend und entscheidend mitwirken, durch die er einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen könnte. Ein Vorteil oder Nachteil ist stets dann unmittelbar, wenn die Entscheidung ohne Hinzutreten eines weiteren Umstandes eine natürliche Person direkt berührt (Schneider-Manz, HESGO, § 25 Erl. 6). So hat ein Gemeindevertreter einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil im Sinne dieser Bestimmung, wenn er bei der Beschlussfassung über einen Bebauungsplan mitwirkt, der sein in diesem Bebauungsplangebiet gelegenes Grundstück betrifft (VGH Mannheim VerwRspr 22,). Der Bebauungsplan hat zwar Rechtsnormcharakter; er bleibt sachlich aber ein Plan, der Regeln der verschiedensten Art enthält, die als Festsetzungen überwiegend unmittelbar rechtsgestaltend wirken. Sie bedürfen keiner Vermittlung durch Verwaltungsakt (VGH Mannheim, ESVGH 16, 22.)).

Anders ist die Rechtslage dagegen regelmäßig zu beurteilen, wenn ein Gemeindevertreter an der Beratung und Beschlussfassung einer gemeindlichen Kanalanschlussbeitragssatzung und einer Wasserbeitragssatzung, wie im vorliegenden Fall, mitwirkt. Diese Satzungen, die ebenfalls abstrakte Rechtsnormen sind, zeitigen grundsätzlich keine unmittelbaren Wirkungen für einen Gemeindevertreter, der als Gemeindebürger der Beitragspflicht unterliegt (VGH Mannheim, KStZ 1978, 55). Denn die Beitragspflicht wird erst durch den Erlass eines Heranziehungsbescheides aktualisiert. Insoweit zieht der Gemeindevertreter nur mittelbar einen Vorteil oder Nachteil aus der Beschlussfassung, an der er mitgewirkt hat.
…

Ein „unmittelbarer“ Vorteil wird auch in § 31 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 Nr. 1 GO NRW sowie in § 22 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BbgKVerf gefordert. Dass der Gemeindevertreter später selbst auf Grundlage dieser Satzung zur Zahlung herangezogen wird, bewirkt also keine Interessenkollision, da der Zwischenschritt einer Abgabensatzung erforderlich ist.

Aber:

Nachwie vor kann die Teilnahme an Entscheidungen in Einzelangelegenheiten – z. B. über Rechtsbehelfe, Stundung, Niederschlagung etc. – einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bewirken.


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3 Kommentare (Fragen/Antworten)

  1. Axel Schoeß meint

    1. November 2011

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    ich bin Mitglied der GV in der Gemeinde Langenhorn (www.langenhorn.de) im Kreis NF in SH. Die Gemeinde hat vor ja 4 Jahren ihre Planungen zur Aufstellung vo Windenergieanlagen (WEA) festgelegt. Danach wurde die erste Fläche mit einer F-Plan-Änderung und dem folgenden Procede bearbeitet. In der Folge wurde eine Betreiber GmbH gegründet. Von unseren 17 GV haben 14 Anteile in dieser GmbH erworben und waren seitdem bei der weiteren Beratung und Beschlussfassung zu diesem Windpark ausgeschlossen. Die verbleibenden drei GV bildeten nach der GO SH eine beschlussfähige GV zu diesem Punkt. So weit, so gut. Jetzt wird eine direkt angrenzende Fläche als Windeignungsfläche ausgewiesen und soll überplant werden. Wir haben bereits einen entsprechenden Aufstellungsbeschluss gefasst, an dem alle 17 GV teilgenommen haben. Da im weiteren Verfahren auch der anliegende Windpark zu beteiligen ist, stellt sich m.E. die Frage, ob die 14 GV mit Anteilen in dem Windpark nicht eigentlich schon beim Aufstellungsbeschluss für die zweite Fläche als befangen gelten. Wir haben im Ort eine sehr rege BI (www.lebenswertes-langenhorn.de), die gegen weitere Flächen für die Windenergienutzung ist und bei fast jedem Beschluss die Kommunalaufsicht anfragt. Die drei seinerzeit verblebenen GV haben zwischenzeitlich auch bei der Kommunalaufsicht des Kreises angefragt, eine Antwort liegt uns aber noch nicht vor. Wir haben jetzt die Befürchtung, dass das weitere Verfahren gestoppt werden muss, da die GV in der Mehrheit als befangen gelten muss. Wie ist Ihre erste Einschätzung ierzu?

    Mit freundlichen Grüßen
    Axel Schoeß

    Antworten
    • Rechtsanwalt S. Nippel meint

      3. November 2011

      Hallo Herr Schoeß,

      ungern würde ich nur der Stellungnahme der Aufsicht vorgreifen.

      Die Kommunalaufsicht wird sicher den Vorgang vertieft prüfen und dann auch eine nachvollziehbare Stelungnahme abgeben.

      Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich ohne alle Unterlagen und eine „gute Portion Zeit“ nur ungern eine Stellungnahme abgeben würde.

      Grüße
      Sönke Nippel

      Antworten
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